Von Familiengeheimnissen und dysfunktionalen Familienstrukturen

Keine Kindheit verläuft ausschließlich glücklich, wenige Menschen durchleben sie ohne Verletzungen.  In dysfunktionalen Familien sind Traumata jedoch wiederholt und häufig, verbunden mit dem Verbot, über die dadurch ausgelösten Emotionen zu sprechen. Typische Muster entstehen beispielsweise durch einen suchtkranken Elternteil, aber auch durch Missbrauch jeder Art oder schwere geistige und körperliche Behinderungen eines Familienmitgliedes.

In einer dysfunktionalen Familie gilt: Loyalität ist das Wichtigste! Die Alkoholsucht der Mutter, die Psychose des Vaters, körperliche und seelische Misshandlungen werden totgeschwiegen: es darf sie nicht geben, deshalb gibt es sie auch nicht. Die Fassade nach außen zu erhalten ist weit wichtiger, als die Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder.

Da Kinder prinzipiell alles, was in ihrer Familie passiert, als normal interpretieren, sehen sie sich oft erst als Erwachsene mit mannigfaltigen seelischen Belastungen konfrontiert, die auf die Probleme der Herkunftsfamilie hinweisen. Kindheitstraumata sind oft die Wurzel starker irrationaler Überzeugungen, die das Leben dauerhaft belasten können. Die Bearbeitung dieses Themas wird noch schwieriger, wenn die Restfamilie die Problematik negiert und die Familiengeschichte quasi “umschreibt”, damit sie besser ins Narrativ passt.

Wie erkennen Sie, ob sie von dysfunktionalen Mustern aus der Herkunftsfamilie betroffen sind? Hier ein paar Anhaltspunkte:

  • Sie fühlen sich als Erwachsener noch immer verantwortlich für die Probleme der Eltern.
  • Sobald Sie sich von ungesunden Verhaltensmustern lösen, die Sie in Ihrer Kindheit gelernt haben, haben Sie Schuldgefühle, glauben, illoyal zu sein.
  • Schuldgefühle sind auch ein großes Thema, wenn Ihr Leben erfolgreicher und leichter als das Ihrer Eltern/der Mitglieder Ihrer Kernfamilie ist.
  • – oder weil Sie ausgezogen sind (“Die Eltern allein gelassen haben”) und ihre eigenen Wege verfolgen.
  • Sie  neigen zu Depression und/oder generalisierten Angststörungen
  • Sie wählen Partner/innen aus einem Mangelbewusstsein heraus
  • Oder Sie neigen Ihrerseits dazu, in Beziehungen alte, dysfunktionale Muster zu wiederholen, haben Schwierigkeiten, stabile, langfristige Beziehungen zu führen.
  •  Ihre Selbstachtung ist brüchig: viel Fassade, wenig Stärke dahinter
  • Sie reagieren übertrieben heftig auf persönliche Kritik.
  • Sie fühlen sich oft ohne direkten Anlass isoliert, einsam, zutiefst traurig
  • Sie neigen selbst zur Suchtproblematik.
  • Sie haben ein starkes Kontrollbedürfnis.
  • Ihre Selbstachtung ist gering, wirkt aber nach außen durchaus stark.

In dysfunktionalen Familien ist besonders dieses typische Kommunikationsmuster – starre, glänzende Fassade nach außen,  Sprachlosigkeit, Verleugnung,  Schweigen im Inneren – für Heranwachsende problematisch, da sie nicht lernen, ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen.

Typische Rollen  der Kinder, ausgelöst durch Familienstrukturen, die durch Unsicherheit und Chaos gekennzeichnet sind:

  • der Held der Familie:  ist früh ein verantwortungsbewusster kleiner Erwachsener, der dem nicht betroffenen Elternteil hilft, das Konstrukt aufrecht zu erhalten. Hat oft Fähigkeiten entwickelte, die weit über sein Alter hinaus gehen.
  • der Friedensstifter: gleicht Konflikte aus, macht zwischen streitenden Parteien den Diplomaten und kann das auch sehr gut. Lernt früh, extrem sensibel auf die Gefühlslage anderer zu reagieren.
  • der Unsichtbare: zieht sich in sich zurück und rettet sich in die Anpassung. Vermeidet ausgeprägte oder von der Gruppe abweichende Meinungen, aber auch enge Bindungen außerhalb der Familie. Ein Einsamer.
  • der Spaßmacher: zieht die Aufmerksamkeit auf sich und lenkt von der gestörten Elternebene ab. Witzig, oft skurril, heitert alle auf und sorgt für bessere Stimmung.
  • das schwarze Schaf/der Sündenbock:  wütend, unsozial, auffällig in der Schule, neigt früh zur Delinquenz, steckt dauernd in Schwierigkeiten und Rebellion. Lenkt so die Aufmerksamkeit von den zentralen Problemen der Familie weg und auf sich.

Diese Rollen können wechseln: geht der Held aus dem Haus, kann z.b. der Sündenbock dessen Verhalten übernehmen und sich völlig ändern. Verlässt das schwarze Schaf den Familienverband, beginnt vielleicht der Spaßmacher sozial schwierig zu werden.